Nach einem gewaltigen Erdbeben brechen um 1400 am Tauberhang bei Rothenburg plötzlich Quellen auf und bringen schwefel- und metallhaltiges Wasser dem eine heilsame Wirkung zugeschrieben wird, ans Licht. Schon wenig später lässt Rothenburgs Bürgermeister Heinrich Toppler an den Quellen im Taubertal ein erstes kleines Badehaus errichten. Da es sich außerhalb einer geschlossenen Siedlung, also in „wildem“ und unwegsamen Gelände befand, wurde es Wildbad genannt. Auch in Burgbernheim, Castell, Nördlingen oder Wemding entstanden zu dieser Zeit Wildbäder.
Über das Badeleben im 15. Jahrhundert weiß man nicht viel. Sicher ist aber, dass die Rothenburger das Wildbad als willkommene Ergänzung der fünf städtischen Badestuben sehr zu schätzen wussten. Da das Wildbad vor den Toren der Stadt lag, war es besonders wichtig, dass sich die Gäste sicher fühlen konnten – Regelverstöße wurden ausgesprochen streng geahndet!
Das Wildbad liegt in städtischer Hand und untersteht dem Baumeister, der für den Ablauf des Badebetriebs zuständig ist. Er hat ein strenges Auge auf die zahlreichen Helfer der Wildbader, zu denen Badeknechte, Bademägde und Wasserträger gehören. Zur damaligen Zeit gehörte es nicht nur zu den Aufgaben der Wildbader, für den Badebetrieb und die Unterbringung der Gäste zu sorgen, sondern auch für ihr leibliches Wohl zu sorgen und eine Gastwirtschaft zu betreiben! Erst viel später wurde die Gastwirtschaft des Wildbads verpachtet.
Wären Sie um 1550 Gast des Wildbads gewesen, wären Ihre Tage mit Baden, Essen und Schlafen vergangen. Der Arzt Johann Fischer von Dailfingen empfahl zu jener Zeit eine Badedauer von sage und schreibe 8 Stunden! Anfang des 17. Jahrhunderts nahm man Abstand von dieser Regel und im frühen 19. Jahrhundert badete man im Wildbad nur noch eine halbe Stunde täglich …
Die Annehmlichkeiten des Wildbads locken 1644 auch Melchior Otto Voit von Salzburg nach Rothenburg. Nachdem Erzbischof von Hatzfeld zwei Jahre zuvor plötzlich an einem Schlaganfall verstorben war, ist Otto neuer Fürstbischof von Bamberg. Mitten in den Wirren des 30-jährigen Krieges gründet er 1647 die Academia Bambergensis, die Keimzelle der heutigen Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
Der schwedische Obrist Graf Gustav Gustavson ist 1650 zu Gast im Wildbad. Er entstammt einer skandalträchtigen Liaison des schwedischen Königs Gustav Adolf mit seiner holländischen Mätresse Margareta Slots. Mit nur 17 Jahren befehligt er 1633 die schwedischen Truppen, die das Hochstift Osnabrück besetzen. Der 30-jährige Krieg führt ihn schließlich nach Rothenburg ins Wildbad.
Das Jahr 1802 ist schicksalhaft für Rothenburg: Die freie Reichsstadt verliert ihre Unabhängigkeit und wird dem Kurfürstentum Bayern einverleibt. Als Konsequenz wird das Vermögen konfisziert und städtisches Eigentum verkauft. So gelangt auch das Wildbad 1806 in private Hände. Der neue Besitzer ist ein früherer Wildbadwirt – ein guter Geschäftsmann ist er nicht. Schnell gerät das Wildbad in finanzielle Schwierigkeiten. 1819 ist das Haus hochverschuldet und wird gerichtlich versteigert.
Als Mitte des 19. Jahrhunderts „wildes Wasser“ in die Heilquelle eindringt, nimmt auch der Bade- und Kurbetrieb ab. 1894 verkauft die Stadt das Wildbad an den Gögginger Orthopäden Friedrich Hessing.
Unter Friedrich Hessing erlebt das Wildbad seine „goldenen Jahre“. Als das imposante Kurhotel 1902 eröffnet wird, hat sein Bau mehr als 1,5 Mio. Mark verschlungen, damals eine unvorstellbar hohe Summe.
Der Schienenhülsenapparat und das Hessing-Korsett sind seine genialen Erfindungen, die auf dem Prinzip der „gleichzeitigen Entlastung, Fixation und Extension der erkrankten Teile“ beruhen. Der Schienenhülsenapparat wird bei Erkrankungen der Beine und der Hüfte angelegt. Dabei wird das Körpergewicht am Becken abgefangen, die Körperlast über den Apparat direkt auf den Boden übertragen. Der erstaunliche Effekt: Kranke können sofort wieder gehen und sich frei bewegen. Besonders wirksam ist die Apparatur bei Knochenbrüchen, Gelenktuberkulose und spinaler Kinderlähmung.
Nach den „goldenen Jahren“ brechen plötzlich schlechte Zeiten für Wildbad an. Der Erste Weltkrieg wirft seine Schatten voraus, im Wildbad bleiben die Gäste aus. Vergangener Glanz beginnt zu verblassen und Hessing scheint das Geld auszugehen. So entschließt er sich 1917 dazu, das Wildbad an die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger in Berlin zu verkaufen. Mit dem Verkauf des Wildbads endet eine Ära und eine der prägendsten Zeiten für das Wildbad in Rothenburg.
Das Wildbad hat wechselnde Eigentümer, zu denen u.a. der Großindustrielle Fritz Rauth und der Landesverband der Bayrischen Ortskrankenkassen gehören. Während des Zweiten Weltkrieges dient das Haus als Lazarett, Kinderheim, H.J.-Schule und US-Lager. In der Nachkriegszeit ist das ehemalige Kurhotel Sammellager für Vertriebene aus dem Baltikum, die hier auf ihre Auswanderung nach Kanada und Australien warteten.
In diesen Jahren nutzt die Bayrische Bereitschaftspolizei das Wildbad als Ausbildungszentrum.
Als die Transzendentale Meditation (TM) im Wildbad die „Residenz des Zeitalters der Erleuchtung“ eröffnen will und Ende des Jahres eine erste Tagung ausrichtet, macht die Stadt Rothenburg von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch und kauft das gesamte Anwesen für 300.000 DM vom Rechtsnachfolger des Reichsverbandes der Ortskrankenkassen und überlässt es zum gleichen Preis dem Diakoniewerk Neuendettelsau.
Erste Ausbaupläne des Wildbads zur Tagungsstätte liegen vor. Bei der Dinkelsbühler Landessynode im April 1981 beschließen die Synodalen die „kleine Lösung“, also den Ausbau des am Tauberufer gelegenen Kurhauses zur Jugendtagungsstätte. Im neuen Trägerverein Wildbad schließen sich die Landeskirche, das Diakoniewerk Neuendettelsau und acht westmittelfränkische Dekanate zusammen. Bereits 1983 wird der Tagungsbetrieb aufgenommen.
Bei der Neuendettelsauer Frühjahrssynode wird die „große Lösung“ für das Wildbad mit dem weiteren Ausbau von 44 Zimmern und einer Rundum-Erneuerung der Haustechnik beschlossen. Am 3. Oktober wird das Obere Haus eingeweiht.
Nach Abschluss der Renovierungsarbeiten wird der Theatersaal feierlich eingeweiht.
Das Wildbad wird eine „Landeskirchliche Einrichtung“ und der direkten Leitung des Landeskirchenamtes unterstellt. Der Trägerverein wird in einen „beratenden“ Beirat umgewandelt.
Am 1. Juni wird festlich das 100-jährige Bestehen der Evangelischen Tagungsstätte gefeiert.
Das Wildbad erhält von der Evangelische Landeskirche in Bayern den inhaltlichen Auftrag, in Zusammenarbeit mit dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der Ort für Fragen der Wirtschaftsethik zu werden. Im Oktober 2011 findet das erste Forum Kirche – Wirtschaft – Arbeitswelt statt.
Das Projekt art residency wildbad wird ins Leben gerufen. Seitdem wählt eine hochkarätig besetzte Fachjury jährlich internationale Künstler aus, die im Rahmen der art residency im Wildbad leben und arbeiten. Die ergebnisoffenen Kunstwerke werden zum Abschluss des Aufenthalts an das Wildbad übergeben und bilden seitdem einen stetig wachsenden einmaligen Kunst- und Skulpturenpark direkt vor den Türen des Wildbads.
Das Wildbad etabliert eine umfassende Seminar- und Tagungsreihe, die sich mit vielseitigen Fragen und Facetten der Christlichen Lebenskunst befasst.
Dank regelmäßiger Kulturveranstaltungen, wie klassischen Konzerten, Theater- und Kabarettabenden, aber auch Dinnerkonzerten und Sonntagscafés ist das Wildbad Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen und eine einmalige „Perle an der Tauber“!