„Sehnsuchtsorte“ lautete das Thema beim 9. Kunstsymposium der bayerischen Landeskirche im Wildbad. Es ging den Zusammenhängen zwischen persönlicher Sinnfrage und Religion nach und stellte in diesem Zusammenhang das Artist-in-Residence-Programm vor, zu dem das Wildbad seit diesem Jahr Künstler zu Arbeitsaufenthalten einlädt.
„‘art residency wildbad‘ ist ein Projekt, das ganz hervorragend in die Kulturkonzeption der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern passt“, sagte Helmut Braun, Leiter des Kunstreferats, zur Eröffnung des Symposiums. Kulturorte werden darin als Orte definiert, „an denen sich eine kulturelle Arbeit in ganz besonderer und nachhaltiger Weise zeigt“. Hier sollten kreative Spielräume geschaffen werden, „in denen sich die beiden Welten – Kunstwelt und die Welt religiöser und traditionell geprägter Gefühle – treffen können.“ Das Projekt des Wildbads solle die außergewöhnliche Anlage der Tagungsstätte, seine kulturellen Traditionen und die inhaltliche Ausrichtung auf besondere Weise miteinander verknüpfen.
Im Wildbad werden ab 2017 Kunstschaffende eine künstlerische Spur in Form einer dauerhaften Intervention im Gelände setzen. Der künstlerische Schaffensprozess soll sich dabei auf die formalen und inhaltlichen Gegebenheiten des Ortes beziehen, jedoch grundsätzlich experimentell und ergebnisoffen sein.
Das erste landschaftsgebundene Kunstwerk im Wildbad ist in diesem Sommer entstanden und wurde im Anschluss an das Kunstsymposium der Öffentlichkeit übergeben. Ausgehend von dem Grundgedanken, dass Rothenburg für viele Menschen weltweit einen Sehnsuchtsort darstellt, der romantische Vorstellungen von Glück und Zufriedenheit am Ziel einer langen Reise auslöst, entwickelten Böhler & Orendt eine mehrteilige, figurative Skulpturengruppe. Ihr Kunstwerk REST ON THE ESCAPE FROM THE CONFRONTATION WITH THE FUCKED-UPNESS OF THE STATUS QUO – Rast auf der Flucht vor der Auseinandersetzung mit der Abgefucktheit des Ist-Zustands – platzierten sie im Bereich der Treppenanlage zum Spitaltor.
Die elf mannsgroßen Skulpturen scheinen eine Reisegruppe und Gestrandete zu sein. In Kleidung, Accessoires, Mimik und Gestik markieren sie unterschiedliche Herkünfte, soziale Schichten und Kulturen. Ihre Gedanken und Gefühle scheinen um Hoffnung und Verzweiflung, Sehnsucht und Enttäuschung zu kreisen. Mag sein, dass sie an ihrem Sehnsuchtsort schon angelangt oder noch unterwegs sind, innehalten: abgewirtschaftet, desillusioniert, gebrochen, verloren? Im Dialog mit dem Betrachter loten sie die menschlichen Fragen nach dem Woher und Wohin aus.
Einen „Sehnsuchtsort“ habe sich auch der Erbauer des Wildbads, Friedrich von Hessing, geschaffen, führte Prof. Dr. Klaus Raschzok, Augustana-Hochschule, unter Bezugnahme auf den Tagungsort aus: mit dem Gebäude, dem Park mit seinen malerischen Terrassen, den Wandelhallen etc. In seinem Referat beleuchtete er die theologischen Aspekte des Tagungsthemas und unterschied zwischen Sehnsuchtsorten des Glaubens und irdischen, touristischen Sehnsuchtsorten. „Sehnsuchtsorte des Glaubens sind Durchgangsorte, Fixpunkte im Netzwerk des Lebens … und nicht mit dem Ziel selbst zu verwechseln.“
Als „ein Gefühl des Mangels in Bezug auf ein anderes Erleben“ definierte Dr. Kassandra Nakas Sehnsucht. In einem kurzen Abriss vom antiken Parthenon über die Zeit der Aufklärung, der Romantik, die Popart bis hin zum „Parthenon der Bücher“ der argentinischen Künstlerin Marta Minujin auf der Documenta 2017 in Kassel zeigte die Berliner Kunstgeschichtlerin beispielhaft Sehnsuchtsorte in der Kunst auf. Sehnsuchtsorte in der Bildenden Kunst heute seien „eng mit Ortsveränderung, Reisen und Migration verbunden“, sagte die ausgewiesene Kennerin der zeitgenössischen Kunst. Sie nannte es einen sehr mutigen Schritt des Künstlerduos Böhler & Orendt, in ihrer Arbeit den Blick auf das Individuum, ihre Sehnsucht, ihre Verzweiflung und Leiden zu richten.